Regulatorik & Recht
Veröffentlichungsdatum:
26.06.2025
Autorin:
Camila Blajos Razuk
Lesezeit:
8 Minuten
Regulatorik & Recht
Veröffentlichungsdatum:
26.06.2025
Autorin:
Camila Blajos Razuk
Lesezeit:
8 Minuten
Mieterstrom gilt als zentrales Element der Energiewende: Strom vom eigenen Dach, direkt für die Bewohner – lokal, nachhaltig, effizient. Gerade in Mehrfamilienhäusern und kleineren Wohnanlagen lässt sich dieses Modell heute schon erfolgreich umsetzen.
Doch ein aktueller Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. Mai 2025 sorgt in der Branche für Diskussionen. Denn: Die rechtlichen Rahmenbedingungen für sogenannte Kundenanlagen, auf denen viele Mieterstrommodelle basieren, wurden durch das Urteil neu eingeordnet. Das betrifft nicht alle – aber möglicherweise bestimmte Projektkonzepte, etwa in größeren Quartieren oder mit mehreren Gebäuden. In der Energiebranche wird das Urteil entsprechend kontrovers diskutiert – insbesondere Projektierer größerer Quartierslösungen sehen teils gravierende Auswirkungen.
Was genau wurde entschieden? Welche Projekte sind tatsächlich betroffen – und für wen ändert sich nichts? Und welche Rolle spielt dabei das europäische Energierecht?
Worum es im BGH-Beschluss geht, welche Folgen sich daraus ergeben könnten – und warum für viele Mieterstromprojekte erst einmal alles beim Alten bleibt erklären wir in diesem Beitrag.
Im Mittelpunkt des BGH-Beschlusses vom 13. Mai 2025 stand eine zentrale Frage:
Wo endet die Kundenanlage – und ab wann handelt es sich rechtlich um ein reguliertes Verteilernetz?
Der Bundesgerichtshof folgt in seiner Entscheidung einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom November 2024. Darin wurde klargestellt:
Wer Strom dauerhaft an Dritte liefert – etwa an Mieter mehrerer Gebäude – und dafür eine eigene Leitungsinfrastruktur betreibt, erfüllt die Merkmale eines Verteilernetzes nach EU-Recht.
Damit wird die bisher großzügige deutsche Auslegung des Begriffs „Kundenanlage“ deutlich eingeschränkt. Insbesondere Projekte, die über einzelne Gebäude oder Grundstücke hinausgehen, könnten künftig nicht mehr als Kundenanlagen anerkannt werden, sondern unterliegen den Vorgaben des regulierten Netzbetriebs.
Das bedeutet: Nicht jede privat betriebene Stromverteilung darf noch als Kundenanlage gelten, nur weil sie auf eigenem Gelände stattfindet oder technisch “klein” erscheint. Maßgeblich ist die funktionale Betrachtung aus Sicht des EU-Energierechts – und die ist strenger als bislang in Deutschland üblich.
Die Urteilsbegründung betont dabei ausdrücklich, dass nationale Sonderregelungen keine zusätzlichen Ausnahmen schaffen dürfen, die über das hinausgehen, was die europäische Strombinnenmarktrichtlinie erlaubt.
Die vollständige Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs finden Sie hier.
Kleinere Mieterstromkonzepte, bei denen z. B. ein einzelnes Mehrfamilienhaus über eine eigene PV-Anlage verfügt und die Mieter vor Ort mit Strom versorgt, sind von der Entscheidung in der Regel nicht betroffen.
Solche Konstellationen erfüllen weiterhin die Anforderungen an eine Kundenanlage – solange die bekannten Voraussetzungen eingehalten werden (z. B. ein gemeinsamer Netzverknüpfungspunkt, räumlicher Zusammenhang, keine Abrechnung von Netzentgelten).
Die Entscheidung betrifft vor allem größere Projekte mit mehreren Gebäuden, Quartierslösungen oder komplexen Infrastrukturen mit Verkauf an Dritte – und nicht die klassischen Ein- oder Zweigebäudelösungen, die heute vielerorts erfolgreich betrieben werden.
Auf den ersten Blick wirkt das BGH-Urteil wie ein Rückschritt für Mieterstromprojekte. Doch die Entscheidung ist nicht gegen die Idee lokaler Energieversorgung gerichtet – sondern soll für klare und faire Rahmenbedingungen sorgen. Der Hintergrund: In der Praxis wurde der Begriff der Kundenanlage in Deutschland zuletzt sehr weit ausgelegt.
Was war das Problem?
In den vergangenen Jahren wurden unter dem Label „Kundenanlage“ teilweise große, komplexe Projekte realisiert – etwa Quartierslösungen mit mehreren Gebäuden, gemeinsamer Leitungsinfrastruktur oder der Belieferung zahlreicher Dritter mit Strom.
Diese Projekte funktionierten technisch und wirtschaftlich wie kleine Stromnetze – ohne dabei den Verpflichtungen eines regulierten Netzbetreibers unterliegen zu müssen.
Das führte zu Zwei-Klassen-Strukturen im Energiemarkt: Während klassische Netzbetreiber streng reguliert werden, konnten Betreiber von Kundenanlagen preislich und organisatorisch deutlich flexibler agieren – bei vergleichbarer Funktion, selbst bei großen Projekten.
Ziel dieser Neuausrichtung ist es, sowohl auf europäischer als auch auf deutscher Ebene für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen allen Stromanbietern zu sorgen, Verbraucherrechte wie Anbieterwechsel und Preistransparenz auch in privaten Versorgungsstrukturen abzusichern und eine klare Grenze zwischen Kundenanlage und regulierter Netzstruktur zu ziehen.
Mit anderen Worten: Wer dauerhaft Strom an Dritte liefert und dafür eine Infrastruktur betreibt, muss sich an die Spielregeln des Energiemarktes halten.
Dabei folgt der BGH konsequent der europäischen Vorgabe: Entscheidend ist die funktionale Einordnung der Anlage, nicht deren Größe, technische Ausgestaltung oder wirtschaftliche Bedeutung.
Es geht also nicht um Verbot von Mieterstrom, sondern um die Frage nach der Grenze zwischen einfacher Versorgung und regulierungsbedürftiger Netzstruktur.
Das Konzept der Kundenanlage spielt eine zentrale Rolle in der rechtlichen und wirtschaftlichen Gestaltung vieler Mieterstrommodelle. Gemeint ist damit eine Stromverteilstruktur, die sich hinter einem einzigen Netzanschlusspunkt befindet und mehrere Letztverbraucher innerhalb eines räumlich zusammenhängenden Bereichs versorgt. Klassisches Beispiel: ein Mehrfamilienhaus mit eigener Photovoltaikanlage auf dem Dach und Stromversorgung der Mieter über ein internes Leitungssystem.
Das Besondere: Eine Kundenanlage gilt nicht als öffentliches Stromnetz. Der Betreiber muss sich daher nicht als regulierter Netzbetreiber registrieren lassen, keine Netzentgelte verlangen und unterliegt nicht den umfassenden Pflichten des Energierechts – etwa zur Durchleitung, Abrechnung oder Bilanzkreisführung. Genau das macht das Modell attraktiv, effizient und rechtlich schlank – gerade für kleinere Projekte oder für Eigentümer, die ihre Gebäude eigenständig mit Solarstrom versorgen möchten.
Damit eine Stromverteilung rechtlich als Kundenanlage anerkannt wird, müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:
Alle versorgten Einheiten müssen sich auf einem räumlich zusammengehörigen Grundstück befinden,
es darf nur ein Netzverknüpfungspunkt zur öffentlichen Versorgung bestehen,
und die Stromlieferung muss in erster Linie intern erfolgen, ohne dass die Struktur einem allgemeinen öffentlichen Netz entspricht.
Für viele klassische Mieterstromprojekte – insbesondere in einzelnen Mehrfamilienhäusern – stellt die Kundenanlage nach wie vor die zentrale rechtliche Grundlage dar. Das BGH-Urteil ändert daran nichts. Es betrifft vor allem jene Konstellationen, bei denen sich die Projektstrukturen funktional immer stärker einem Verteilernetz angenähert haben – ohne dies rechtlich zu reflektieren.
Mit dem BGH-Beschluss vom 13. Mai 2025 ist klar: Größere Energieversorgungsstrukturen, die sich über mehrere Gebäude oder Grundstücke erstrecken, können nicht mehr pauschal als Kundenanlagen gelten. Wer eine solche Infrastruktur betreibt und Strom dauerhaft an Dritte liefert, unterliegt künftig den Regeln des regulierten Netzbetriebs – mit entsprechenden Pflichten und Aufwänden.
Für viele klassische Mieterstromprojekte ändert sich dadurch jedoch erst einmal nichts. Solange sich die Stromversorgung innerhalb eines einzelnen Gebäudes oder eines räumlich klar zusammengehörigen Areals abspielt und die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Kundenanlage erfüllt sind, bleibt das Modell weiterhin anwendbar – ohne zusätzliche Bürokratie oder Regulierung.
Konkret bedeutet das:
Projekte mit Photovoltaik auf einem Mehrfamilienhaus, die Mieter im selben Gebäude versorgen, können wie bisher umgesetzt werden. Sobald aber mehrere Gebäude über Grundstücksgrenzen hinweg eingebunden sind (z.B. in einem Quartier oder einer Neubausiedlung), ist Vorsicht geboten: Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Struktur noch als Kundenanlage durchgeht oder bereits als reguliertes Verteilernetz gilt.
Wer künftig komplexere Projekte plant, sollte daher frühzeitig klären:
Wie ist die räumliche und technische Ausgestaltung der Versorgung?
Gibt es mehrere Netzkopplungspunkte oder nur einen?
Erfolgt die Belieferung innerhalb einer rechtlich geschlossenen Einheit – oder an extern verbundene Gebäude?
Die BNetzA und Gerichte werden hier künftig voraussichtlich genauer hinsehen. Umso wichtiger ist es, die Projektstruktur frühzeitig an die neue Rechtslage anzupassen – und nicht von überholten Annahmen über den Kundenanlagenstatus auszugehen.
Auch Bestandsanlagen sollten nicht blind auf einen Bestandsschutz vertrauen. Betreiber sind gut beraten, ihre Struktur im Zweifel rechtlich überprüfen zu lassen.
Die Urteilsbegründung enthält ausdrücklich keinen Bestandsschutz für bestehende Strukturen. Ob es Übergangsregelungen geben wird, ist derzeit unklar. Betreiber sind gut beraten, ihre Projekte individuell bewerten zu lassen.
Das Urteil des BGH betrifft nicht pauschal alle Mieterstrommodelle, sondern vor allem Projekte mit größerem räumlichem Umfang oder komplexer Versorgungsstruktur. Entscheidend ist, ob eine geplante oder bestehende Kundenanlage noch innerhalb der gesetzlich erlaubten Grenzen bleibt, oder ob sie sich funktional bereits wie ein Verteilernetz verhält.
Unproblematisch bleiben in der Regel:
Klassische Mieterstromprojekte in einzelnen Mehrfamilienhäusern,
Wohnanlagen mit nur einem Netzverknüpfungspunkt und internem Leitungssystem,
Eigentümermodelle mit PV-Anlage auf dem Dach und Versorgung der Bewohner im selben Gebäude.
Kritisch wird es, wenn:
mehrere Gebäude über eine zentrale Anlage versorgt werden,
die Stromlieferung über Grundstücksgrenzen hinweg erfolgt,
oder die Infrastruktur mehrere Hausanschlüsse umfasst, z. B. bei Neubauquartieren, Wohnparks oder Genossenschaftslösungen.
Wird das Projekt als Verteilernetz eingestuft, greifen umfangreiche regulatorische Pflichten – etwa zur Anmeldung bei der BNetzA, zur Abrechnung nach Marktregeln oder zur Bereitstellung von Netzzugang für Dritte.
Bestandsanlagen genießen bislang keinen Bestandsschutz. Ob es Übergangsregelungen geben wird, ist derzeit unklar. Auch Betreiber bereits laufender Kundenanlagen sollten daher prüfen, ob ihre Struktur den neuen Maßstäben noch genügt – und bei Bedarf rechtzeitig nachjustieren.
Wir bei Dach für Dach sehen im Urteil keinen Grund zur Sorge – denn für diejenigen, die Mieterstrom in einzelnen oder kleinen bis mittleren Mehrfamilienhäusern umsetzen, ändert sich praktisch nichts.
Solange es sich nicht um großflächige Quartierslösungen handelt, bleibt das bewährte Modell der Kundenanlage voll nutzbar und rechtlich tragfähig.
Gleichzeitig empfehlen wir, Projekte bewusst zu betrachten – vor allem dann, wenn mehrere Gebäude oder Grundstücke verbunden werden sollen. Denn hier lohnt sich die Frage:
Gilt meine Struktur noch als Kundenanlage – oder braucht es eine Anpassung, um langfristig auf der sicheren Seite zu sein?
Berechnen Sie jetzt Ihre mögliche Rendite – und finden Sie heraus, wie viel Ihre Immobilie mit Mieterstrom wert sein kann.
Zur besseren Lesbarkeit verwenden wir einheitliche Personenbezeichnungen, die ausdrücklich alle Mieterinnen, Mieter, Vermieterinnen und Vermieter einschließen.
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